#MeTooInzest – Warum ich jetzt laut werde und du mit mir gehen kannst.
- Marion Princk

- 30. Juni
- 6 Min. Lesezeit

Es gibt Geschichten, die sich nicht leise erzählen lassen.
Nicht, weil sie zu laut sind, sondern weil zu lange über die Abgründe der Welt, in der jeder einzelne von uns lebt, geschwiegen wird. In meinem Fall über das, was Eltern und Familie Ihrem eigenen Kind antun können.
Ich bin eine von vielen. Ich bin Überlebende von innerfamiliärer sexualisierter Gewalt - von Inzest. Ich bin das Dunkelfeld und ich breche das Schweigen – für mich, für andere und für die Kinder und Erwachsenen, die heute noch in diesem Schweigen gefangen sind.
Mein Hashtag lautet #MeTooInzest, weil es an der Zeit ist, diesem Teil der #MeToo-Bewegung ein Gesicht und einen Raum zu geben. Eine Stimme, die nicht nur zeigt, was es war, sondern auch, wer es war. Zu viele schweigen noch, zu viele wissen nicht, wie man hinhört, erkennt und betroffenenorientiert handelt. Zu viele schauen aus Angst und Unsicherheit weg, auch weil sie nicht wissen, was das Hinschauen mit sich bringt.
Nach vielen Anläufen, Zweifeln, Ängsten und so vielen motivierenden Gesprächen schreibe ich nun mein Buch. Mein Buch über mein Leben, über meine Geschichte, über Gewalt, über Scham, über Verdrängung – aber auch über meinen Weg in die Selbstermächtigung. Ich schreibe über Hoffnung, über Mut und über den ungeheuren Kraftakt, sich selbst zurückzugewinnen, wenn andere sich ein Leben lang an dir bedient und alles daran gesetzt haben, dich auf ewig zum Schweigen zu bringen.
Dieses Buch ist mein Beitrag, Licht in einen Abgrund zu bringen, der bis heute vielen unbekannt oder unerträglich erscheint – obwohl er in jeder Gesellschaftsschicht existiert und seit Bestehen der Menschheit unsere Welt mitbestimmt. Jedes betroffene Kind, jeder überlebende Mensch lebt sichtbar unter uns.
Aber dieses Buch wird nicht nur ein Statement. Es ist auch ein Ruf – nach Solidarität, nach Aufmerksamkeit und nach einer Community, die bereit ist, gemeinsam das Tabu für Veränderung zu brechen.
Jeder ist wichtig - DU bist wichtig:
Ich will nicht nur schreiben. Ich will wirken.
Denn innerfamiliärer sexueller Missbrauch – Inzest – ist das letzte große Tabu in der Debatte um sexualisierte Gewalt. Selbst Fachleute sträuben sich bei diesem Wort, denn er spricht den wundesten Punkt überhaupt an: die eigenen Eltern, die nächste Familie, wie auch Geschwister und Großeltern. Er findet dort statt, wo eigentlich Schutz sein sollte, wo Vertrauen herrschen sollte und wo Liebe leben sollte.
Sich die eigene Familie stattdessen als Tatort, beherrscht durch Angst, Kontrolle, Manipulation, strukturelle Gewalt und jahrzehntelanges Schweigen, vorzustellen, ist gegen jede gesunde menschliche Natur.
Daher kann ich heute, nach nunmehr fast 20 Jahren Aufarbeitung, sagen: Ich kann die kollektive Verdrängung verstehen. Das war natürlich nicht immer so, und Verständnis sagt nicht aus, dass ein nachvollziehbares Verhalten richtig ist. Bis heute bin ich wütend über die Gleichgültigkeit, die Doppelmoral und das Victimblaming, welches Überlebenden aus eigener Angst, Unsicherheit und Ignoranz entgegengebracht wird. Täterschutz statt Opferschutz beginnt in jedem selbst - das wissen Überlebende am besten und jeder sollte von ihnen lernen.
Mein Überleben erfolgte im Stillen. Doch ich war nicht still, weil ich es wollte. Ich war still, weil ich musste. Weil ich mich mein Leben lang verstecken musste: vor den Tätern, ihren Helfern und denen, die nichts wissen durften oder es nicht ausgehalten haben, und denen, die ich schützen wollte, und mir ein Stück "heile Welt" und eine Flucht aus dem Alltag gegeben haben.
Das Schweigen und die damit verbundene "Rolle", die ich als mein Selbst verkaufte, verschwammen mit dem, was noch von mir übrig war. Lange war diese Überlebensstrategie das Einzige, das mir Sicherheit vorgaukelte. Bis es irgendwann nicht mehr ging.
Mit 50 Jahren gehe ich mit meinem Buch und mit meiner Geschichte in die Öffentlichkeit - nur gehe ich heute nicht mehr allein. Dafür bin ich unendlich dankbar und lade dich ein, mich zu begleiten.
Was du tun kannst:
Werde Teil meiner Community.
Egal ob du selbst betroffen bist, Angehöriger, Helferin, Therapeut*in oder einfach Mensch mit offenem Herzen: Ich freue mich über deine Unterstützung, deine Reaktion, deine Bereitschaft, dich mit diesem schwierigen Thema auseinanderzusetzen, oder auf eine Zusammenarbeit zur Sensibilisierung und Aufklärung, wenn du Betroffenenexpertise suchst.
Folge dem Hashtag #MeTooInzest.
Teile Beiträge, diskutiere mit, setze ein Zeichen. Sichtbarkeit ist der erste Schritt, um ein Schweigen zu beenden, das Täter schützt – und Opfer unsichtbar macht.
Gib dem Thema Raum.
In deinem Umfeld, in deiner Arbeit, in deinem Bewusstsein. Wenn du beruflich mit Menschen arbeitest, nimm diese Realität mit in deine Haltung. Wenn du mit Betroffenen sprichst, höre mit deinem Herzen.
Begleite mich beim Schreiben.
Ich werde auf meinem Weg immer wieder Einblicke geben – nicht in die Gewalttaten selbst, sondern in meine Gedanken, Hürden, Fragen. Vielleicht erkennst du dich in manchem wieder. Vielleicht willst du mir schreiben. Vielleicht wirst du selbst lauter.
Warum das alles?
Weil ich nicht mehr still sein will.
Weil ich gesehen habe, wie viele sich im eigenen Schmerz verlieren – und sich nicht nur selbst dabei vergessen, sondern kaum jemand sie daran erinnert, wie stark sie wirklich sind. Denn sie haben all diese Taten schon überlebt. Weiter tragen sie ein Bewusstsein in sich, welches ihrem Umfeld Angst macht. Jedoch sind nicht die Überlebenden die, die sie fürchten, es ist das Thema und die Frage: Wie und warum geht mich das Thema etwas an? Warum konfrontierst du mich damit?
Jeder hat eine Familie, jeder hat Familiengeheimnisse, über die niemand spricht. Da ist jedes sprechende "Opfer" eine Provokation und Gefahr für die eigene Illusion, die eigene Betroffenheit, die Mittäterschaft oder auch die Täterschaft.
Ein weiterer Grund, warum ich meine Geschichte ohne Schnörkel aufschreibe, ist, weil ich weiß, dass die Gewalt endet, wenn das Schweigen endet.
Eine Erfahrung, die mir die Aufarbeitung in mir selbst gezeigt hat. Erst durch die Sprache erlangte ich die nötige Bewusstwerdung, um im Weiteren auch in der Tiefe die Gewalt, die ich gegen mich selbst gelebt habe, loszulassen. Ein entscheidender Schlüssel, um keine Gewalt mehr gegen mich zu tolerieren - weder durch mich selbst noch durch andere. Die weiterführende Erkenntnis war, dass alles, was ich mir für mich und mein Leben wünsche, in mir den Anfang nimmt.
Sprache gab mir den Zutritt zur Bewusstwerdung und damit zu meiner inneren Klarheit. Mit neuem Selbstverständnis ebnete sie mir den Weg zu neuen Erfahrungen und zur Selbstfindung.
Maßgeblich dafür waren die treuen Wegbegleiter, die mir geglaubt haben, mich gesehen haben und mir gezeigt haben, dass nicht ich die Verantwortung für das Geschehene trage und ich mich nicht verstecken muss, sondern unglaublich stolz auf mich sein darf. Dies möchte ich gerne mit meinem Buch und meinen Beiträgen weitergeben und nicht nur Überlebende, sondern auch Helfer ermutigen, in den Betroffenen das zu sehen, was sie sind und was sie tagtäglich leisten - Übermenschliches.
Wer ich bin
Ich bin keine Therapeutin. Ich bin keine Wissenschaftlerin. Ich bin keine Autorin, die aus sicherer Distanz schreibt. Ich bin eine Erfahrungsexpertin - eine Inzestüberlebende. Eine, die sich über Jahre hinweg zurück ins Leben gekämpft hat – gegen Schuldgefühle, gegen Depressionen, gegen die zerstörerischen Gedanken, gegen den Körperhass, gegen den tiefen Zweifel an sich selbst, gegen die unzähligen Traumafolgen und die bis heute gemeinsam mit dem Opferschutzverein "El Faro" gegen Täter und ihre Profiteure kämpft. Es ist und bleibt eine Lebensaufgabe.
Ich bin heute eine Frau, die sich nicht mehr fürchtet, wenn sie das Wort Inzest laut ausspricht. Eine Frau, die gelernt hat, sich selbst wieder zu lieben. Eine Frau, die gelernt hat, dass Klarheit der erste Schritt zur Veränderung und Heilung ist. Eine Frau, die weiß, es fängt im Kleinen, bei jedem selbst an, um im Großen Wirkung zu zeigen. Eine Frau, die keine Angst hat, die Ursache anzusehen, während viele sich mit den Symptomen aufhalten, ohne den Betroffenen die lebenswichtigen Informationen und den Schutz zu geben oder ihnen mit Respekt und Haltung zu begegnen.
Und eine, die weiß: Es gibt viele da draußen, die kämpfen und unglaublich mutig sind, die ähnliche Wege gehen – oder noch ganz am Anfang stehen.
Was jetzt kommt:
In den nächsten Monaten werde ich regelmäßig über meinen Schreibprozess, meine Gedanken, meine Entwicklung berichten – hier im Blog, auf Social Media unter #MeTooInzest und, wenn du möchtest, im direkten Austausch mit dir.
Ich suche keine Likes – ich suche echte Verbündete. Unerschrockene Menschen, die mittragen, mitfühlen, mitsprechen und verändern wollen. Menschen, die sagen: “Ich gehe mit dir." Menschen, die durch die Beiträge ihre Herzensprojekte im Thema anschieben. Menschen, die ein #ZusammenSindWirStark suchen.
Denn jede einzelne Stimme zählt. Jede Geschichte, die erzählt wird, reißt ein Stück Tabu ein.
Lass uns gemeinsam ein neues Kapitel aufschlagen.
Solidarisch. Sichtbar. Selbstbestimmt.
Wenn du selbst betroffen bist: Du bist nicht allein.
Wenn du helfen willst: Hör hin.
Wenn du unsicher bist: Frag.
Wenn du wütend bist: Lass uns laut sein.
Wenn du traurig bist: Du bist willkommen.
Danke, dass du hier bist.
In Verbundenheit,
Marion Princk
Tipp:
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