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Meine erste Buchlesung: Was hat sie mit mir gemacht und warum wir nicht nur Solidarität, sondern auch einen Perspektivwechsel brauchen

  • Autorenbild: Marion Princk
    Marion Princk
  • 14. Sept.
  • 8 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 15. Sept.

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Am 4. September war es soweit: Meine erste Buchlesung fand als Facebook Live Veranstaltung statt.

Nach einigen Turbulenzen, die Technik betreffend, hat alles sehr gut geklappt und es war ein besonderer Abend, den ich sicher wiederholen werde. Für alle, die nicht dabei sein konnten, gibt es eine Aufzeichnung.

Danke an euch alle, die mich unterstützt haben und mich begleiten.


Wenn mir jemand vor 5 Jahren oder noch länger, gesagt hätte ich würde mit meinen Gedanken, die mich auf meinem Weg und in der ehrenamtlichen Arbeit umgetrieben haben, eine Buchlesung halten, hätte ich ihn wohl für verrückt erklärt.


Für mich waren die Menschen, die sich an diesem Abend die Zeit genommen haben dabei zu sein, besonders tragend. So viel Zuspruch und ganz praktische Unterstützung konnte ich erfahren, um diese Lesung möglich zu machen und sie viele Menschen erreichen kann. Ich danke euch allen von Herzen und freue mich so sehr über jeden, der dabei ist.


Seit ich auf meinem Weg bin, und das sind nun insgesamt gut 20 Jahre, habe ich nur wenige mutige und solidarische Menschen finden können, die dem Thema auch über die eigene Aufarbeitung treu geblieben sind.

Die Gründe sind vielfältig. Bei Betroffenen waren es nicht selten Ängste vor erneuter Gewalt, die in Ermangelung von therapeutischer Hilfe nicht geschützt und stabilisiert werden konnten. Oft lag es daran, dass das Thema, mit seinen Konsequenzen, zu intensiv oder sogar gefährlich für das eigene Leben war. Ebenso waren es die unsäglichen Widerstände, die jegliche Motivation sich zu engagieren, sich für das Richtige und gegen die Gewalt einzusetzen, die Menschen mürbe oder sogar mundtot gemacht haben.

Nun, in einer neuen Zeit, in der die ganze Vorarbeit der Aufklärung anfängt Früchte zu tragen, kommt es zu neuen, so wertschätzenden und tragfähigen Begegnungen. Das macht Hoffnung und zeigt, wie Durchhaltevermögen von dem unbändigen Antrieb der Betroffenheit abhängt und es mehr Verbündete gibt, als sie zuvor vielleicht sichtbar waren.



Wie die Tabuisierung mich isoliert, unterdrückt und in Selbstzweifel gezogen hat

Wie lange und wie oft habe ich mich gefragt, ob es an mir oder meiner Art mit dem Thema umzugehen liegt, dass mir und meinen so unfassbar mutigen Mitstreitern keiner zuhören möchte?

Wie unendlich groß sind meine Zweifel dadurch geworden und wie viel Recht sollte mein Vater und all die anderen Täter dieser Welt behalten, wenn mir immer wieder gezeigt wird: "Du hast keine Bedeutung.", "Es ist nicht wichtig, was du zu sagen hast."?

So oft wollte ich aufgeben. Hinschmeißen, weil es scheinbar keinen Zweck hatte, als gefühlt einzelne Stimme, meinem Schicksal durch Aufklärung und Hilfe für andere einen Sinn zu geben - und das selbst mit dem so konsequenten Verein "El Faro" als Schutz und Unterstützung,

Zusätzlich fühlte ich mich allein, weil viele Betroffene, die ich kennengelernt habe aus guten Gründen nicht öffentlich werden konnten. Mein Wunsch eine Lobby aufzubauen, Solidarität und Loyalität zu erreichen indem die Hemmungen und das Tabu abgebaut werden, schien lange Zeit unerreichbar. Niemand spricht gern über Gewalt. Im Tatort Familie ist es noch schwerer und ich wünschte ich müsste es auch nicht. Aber wer, wenn nicht wir, kann besser für Veränderung sorgen?


Aus diesem Grund hat der Schritt eine online Lesung, mit den zum Teil sehr persönlichen Inhalten, zu veranstalten, mich sehr viel Mut gekostet. Zusätzlich musste er aber auch lange in mir reifen, weil Öffentlichkeit auch bedeutet, die Menschen auf mich aufmerksam zu machen, zu denen ich keinen Kontakt möchte und die keinen Platz mehr in meinem Leben haben.

Umso dankbarer bin ich heute, so vielen herzlichen, liebevollen und wertschätzenden Menschen begegnet zu sein, die mich auf dem Weg dahin und an diesem Abend begleitet haben.


Es gab so zahlreiche Rückmeldungen, die mich sehr berührt haben und die mir zeigen, wie wichtig es ist eine Stimme zu sein, wenn es einem möglich ist.



Indentifikation als Überlebende als Schutzschild zur Täter-Opfer-Umkehr

Ich glaube nach wie vor fest daran, dass wir alle es schaffen werden Löcher in dieses dicke Brett zu bohren. Eine über Generationen aufgebaute Wand des Schweigens, des Tabuisierens und des - aus meiner Sicht - zu oft gelebten unterdrückenden Mitgefühls den Überlebenden gegenüber. Opfer sind Überlebende und sie brauchen genau diese Würde, die Anerkennung und die Loyalität, um sich aus der täterschützenden Wahrnehmung des bemitleidenswerten Opfers heraus bewegen zu können.

Und ich möchte nicht falsch verstanden werden: ich bin auch Opfer - ein Mensch, der zum Opfer gemacht wurde und der diese Anerkennung benötigt, um Schutz und Hilfen zu erhalten.

Aber: wenn ich als Kind die unzähligen sexuellen Übergiffe und Vergewaltigungen, die durch meine Mutter und Großeltern nicht nur geduldet wurden, sondern ebenso durch sie stattfanden, überlebt habe, dann bin ich in erster Linie Überlebende!

Dies ist die wichtigste Botschaft, die ich für mich und für alle anderen habe, wenn sie in Zweifel gezogen werden, aufgeben wollen oder durch die komplexen Traumafolgen, Diagnosen und der sie umgebenden Hilflosigkeit glauben, sie seien "nur" ein Opfer!


Warum auch der Begriff Opfer wichtig ist:

Opfer ist ein wichtiger Begriff, besonders für unser Rechts-, Gesundheits- und Hilfssystem.

Jedoch ist er für die Betroffenen selbst, der Begriff, der sie innerlich in die Position rückt, durch die Täter, Täterinnen und Profiteure Schutz erfahren. So ist die Prägung und Lernerfahrung, weswegen der Perspektivwechsel wichtig ist.

Gleichzeitig soll dieser nicht absprechen, dass ein Mensch zum Opfer gemacht worden ist und einen klaren Blick auf die komplexen und weitreichenden Folgen zeigen.



Wenn das Trauma als Waffe gegen Opfer genutzt wird

Nicht nur für die eigene Aufarbeitung und das Selbstbewusstsein ist es eine korrekte Identifikation wichtig, sondern auch um Täter-Opfer-Umkehr und die Unterdrückung der Betroffenen zu beenden. Denn auch institutionelle Gewalt lebt genau davon.

Ich werde nie vergessen, wie eine Frau zu Gericht begleitete. Es ging um Gelder zur Unterstützung von Opfern, die ihr nicht bewilligt wurden, obwohl diese lebenswichtig für sie waren. Der Richter entließ sie sinngemäß mit den Worten: "Schauen Sie, Sie haben doch allein, dass Sie diesen Schritt hierher gemacht haben, schon so viel für sich erreicht." Und wir alle wissen, es gibt unzählige weitere, durchaus noch furchtbarere Beispiele. An diesem einen möchte ich zeigen, wie Opfer schon auf so scheinbar einfache Weise reduziert werden. Sie werden fassungslos, schockiert und dissoziativ auf ihre Opferrolle zurückgeworfen. Ob dies bewusst oder intuitv geschieht, ist zweitrangig. Entscheidend ist, sie können ohne fachkomptente Hife nicht mehr für sich argumentieren und selbst mit sehr guter Hilfe, heißt es nicht, dass sich in diesem Fall etwas geändert hätte. Das Bewusstsein, fachliche Schulungen, sowie ein entsprechendes opferschützendes, traumasensibles Regelwerk fehlt, so dass solche Aussagen und schlimmere der Vergangenheit angehören können und das Trauma der Opfer nicht mehr als Waffe gegen sie genutzt werden kann.

Traumatisierten Menschen einen "Maulkorb" zu verpassen ist relativ einfach und geschieht an so vielen Stellen im Leben, selbst wenn schon viel Aufarbeitung und Aufbau des Selbstbewusstseins stattgefunden hat. Entsprechend schwerwiegender gestaltet es sich, sollte noch Täterkontakt bestehen oder die Gefahr der Retraumatisierung.


Daher ist es mir so wichtig einen Perspektivwechsel in den Betroffenen zu erreichen, damit sich dieses Bewusstsein, diese Realität auch in den Köpfen der Gesellschaft manifestieren kann.


Nur wenn sichtbar wird, was wir erlebt haben, wird sichtbar: Wir sind stark!

Ich schreibe über die furchtbaren Folgen und Auswirkungen, um deutlich zu machen, was wir als Überlebende tagtäglich, je nach Lebensrealität, durchmachen und dass wir trotzdem unseren Alltag bewältigen, Karriere machen, uns engagieren und uns unsere Menschlichkeit bewahrt haben.

Auf meinem Weg habe ich gelernt, über Schmerz zu schreiben oder zu reden ist keine Schwäche oder sollte uns das Gefühl geben schwach zu sein. Dies ist ein alter Maßstab, den Täter mir beigebracht haben. Eine Prägung, die nicht nur in meinem Kopf verankert war, sondern in vielen Köpfen zu finden ist. Ein weiterer Stein in der scheinbar undurchdringlichen Mauer des Schweigens, die aus Angst und Schwäche aufgebaut ist.


Jeder, der sich stellt, weiterbildet oder durch das Teilen seiner Lebenserfahrungen das Tabu Stück für Stück aufbricht, in dem er so ist wie es ist, in dem er da ist, liebevoll ist und sich nicht in die Spirale der Gewalt ziehen lässt und Mensch bleibt, ist so unglaublich wertvoll. Damit bildet jeder ein Gegengewicht. Ein Mensch verändert sein Leben allein dadurch,, dass er das Bewusstsein und die Kraft hat sich der Realität eines Gewaltopfers zu stellen. Das Bewusstsein,, um dass wir gemeinsam kämpfen. Er ist damit Teil der gesamten Veränderung.



Das Unglaubliche liegt in der Menschlichkeit

Lange in meinem Leben habe ich geglaubt ich müsse etwas Besonderes machen, um geliebt, gesehen und gehört zu werden. Mein Maßstab dafür waren Menschen, die weder lieben, noch sehen oder hören wollten. Ich lief also Menschen und etwas in ihnen nach, was es nachweislich nicht gab. Irgendwann kam das schmerzhafte Verständnis dazu.

Das erste was sich in mir breit machte, waren Sätze wie: "Wie dumm war ich, wie naiv und blind?" Durch meinen Therapeuten, der ebenfalls Selbstbetroffener ist, lernte ich: "Ich bin genug. Ich war immer genug und bin es auch heute."

Es war und ist nicht mein Unvermögen, wenn Menschen mich und andere nicht lieben, wertschätzen, sehen und hören. Es ist das Thema selbst und die Veränderung meiner Prioritäten dadurch. EIn Thema, mit dem sie selbst vermutlich mehr zu tun haben, als ihnen lieb ist. Es sind die eigenen Unsicherheiten, Verletzungen und Defizite, die wir ihnen, als zwangsläufig tiefsinnige und eher seelisch agierende Menschen, spiegeln. Damit fordern wir direkt oder indirekt von ihnen, auf unsere Ebene zu gehen und damit in Gefühle, die sie glauben nicht ertragen zu können.

Dann zeigen sie genau die Abwehr- und Schutzmechanismen, die wir als komplex Traumatisierte, nur allzu gut kennen. Eine nur logische Konsequenz, wenn wir doch wissen, dass wir über strukturelle und generationsübergreifende familiäre Gewalt sprechen.

Wir alle haben mit dem Thema familiäre Gewalt zu tun, jeder von uns kennt ein Opfer, so wie jeder von uns zwangsläufig auch einen Täter oder eine Täterin kennt. Wenn auch die schlimmste Gewaltform von allen, die inzestuöse Gewalt, unausgesprochen bleibt, so wird auch in dem Punkt viel mehr Bewusstsein vorhanden sein, als ein Mensch sich anmerken lassen will,


Als Opfer und Überlebende sind wir Trigger für den Großteil unseres Umfeldes

Auf diese Weise sind wir Überlebende, die Inzestkinder, die von der schrecklichen Gewalt psychisch, geistig und körperlich gezeichnet sind, Trigger für unser Umfeld. Daher werden wir oft nicht gemocht, nicht gesehen, nicht gehört und isoliert und auf das Abstellgleis der täterpraktischen Schublade des Opfers, der Kranken gestellt - genauso wie die Familie macht, die ihrem Kind ungesehen sexualisierte Gewalt antut und Gründe zum Vertuschen sucht.

Wie im Kleinen, so im Großen - und wir als die Kinder dieser Familien, kennen uns bestens aus, so dass wir unsere Erfahrungen zur gegenseitigen Stärkung und zur Veränderung nutzen sollten.


Stehen wir also auf!

Nutzen wir unser, oft über ein Leben lang, durch kräftezehrende, sogar oft privat gezahlte Therapien, durch teure Fortbildungen und / oder autodidaktische Aufarbeitung, erlangtes Wissen!

Stehen wir endlich dazu, dass nicht wir "falsch" sind, sondern die Welt, die über Generationen von Tätern, Täterinnen und ihren Profiteuren systematisch zu ihrem Schutz und ihren Vorteilen aufgebaut wurde.

Machen wir uns unsere lebenlange Rebellion bewusst. Ändern wir den Blickwinkel auf uns, indem wir nicht nur die Schwere, die in dem Kampf liegt sehen, sondern den Wert für uns als Einzelperson, aber auch den Wert, der sich darus für alle ergibt: Denn wir sind viele!

Gehen wir realistisch mit uns und der Welt um, während wir gleichzeitig nicht unser Leid, den Schmerz und die Folgen mindern, denn in ihnen wird unser Kampf sichtbar - die vielfältigen Überlebensstrategien, die nötig waren, um auf dem Kriegsfeld des Inzestes, mit den Möglichkeiten, die uns gelassen wurden, zu überleben.

Eine Erkrankung, eine Diagnose, die aus solch entsetzlicher und für viele unaussprechlichen Gewalt entstanden ist, ist alles aber keine Schwäche! Sie drückt die Brutalität der Täter und Täterinnen aus und die unglaubliche Widerstandskraft von dir als Mensch, der sich nicht in ihre Abgründe hineinziehen lässt!


Zeigen wir Haltung uns selbst gegenüber. Stärken wir als Helfer, Aktivist und engagierter Mensch das innere Rückgrat, welches systematisch und bewusst überlagert wird, um Überlebende und ihr Schicksal klein und unsichtbar zu halten. Und nebenbei bemerkt auch das Engagement der Therapeuten und Helfer.

Wir alle sind gefordert Traumatisierung aufzuarbeiten und dürfen ein Wegsehen nicht weiter zulassen. Schließlich leiden künftige Generationen daran und es ist unsere Verantwortung den Teufelskreis gemeinsam zu durchbrechen. Null Toleranz für Gewalt.

Wenn die Scham die Seiten wechseln soll, dann dürfen die täterkonditionierten Scham-und Schuldgefühle in den Opfern nicht weiter bedient werden. Sie benötigen Räume voller Empathie, Würde und Stärkung. Der Fokus bezüglich Scham- und Schuld muss auf denen liegen, die die Verantwortung tragen: Täter und Täterinnen mit samt denen, die davon partizipieren.


Es geht uns alle an und die Aufgabe kann und darf nicht allein bei den Überlebenden liegen!



Solidarität schafft Raum. Sichtbarkeit schafft Kraft. Selbstbestimmung schafft Zukunft.


Bist du betroffen — du bist nicht allein.

Willst du unterstützen — hör zu, frag nach, verbinde dich mit anderen.


Danke, dass du dich nicht abwendest.

Danke, dass du hier bist, auch wenn es weh tun kann.

Gemeinsam verwandeln wir Ohnmacht in Stärke und schaffen den Wandel, den wir brauchen.


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